Unser Schweigen ist das Gift

Der Attentäter war ein Muslim mit Wurzeln in Mazedonien.
Sein erstes Opfer war ein Muslim mit Wurzeln in Mazedonien.
Menschen aus unserer Mitte.
Eine Tragödie. Und darüber hinaus eine Symbolik von großer Tragweite.

Unser Extremismus und ich spreche bewusst von unserem Extremismus ist nicht das Problem der „anderen“, nicht die Sorge von Polizei, Politik und Akademikern, die sich darum schon kümmern werden. Nein. Es ist unser Extremismus, der in unserer Mitte brütet, wächst, gedeiht, wurzelt und vergiftet. Wir werden vergiftet. Langsam, aber stetig. Nicht weil der Extremismus die besseren Argumente hätte. Nein. Weil wir nicht den Mut aufbringen, ihn zu benennen, ihn einzugrenzen und abzusondern. Stattdessen wenden wir den Blick ab. Wir sehen weg. Und wir sehen schon so lange weg, dass es fast schon eine Kunst geworden ist.

Nach dem Anschlag habe ich geschrieben, dass wir uns den Salafismus/Wahabismus zur Brust nehmen müssen. Keine weltbewegende Aufforderung. Eigentlich. Doch dann meldet sich ein für gewöhnlich kluger, besonnener Akademiker und wütet.

„Jetzt ist nicht die Zeit, uns zu Tätern zu machen!“
Aber wir sind Täter. So wie wir Opfer sind.

„Salafismus gibt es nicht. Das ist ein Begriff des Imperialismus!“
Nenn es, wie du willst. Wir haben ein Extremismus-Problem in unserer Mitte, guter Mann.

„Du redest ja wie Kurz, diese Dokustelle. Schlechter Weg, den du das eingeschlagen hast!“
Es gibt wohl nur wenige, die den Kurz’schen Kulturkampf light nachhaltiger kritisiert haben als ich. Und dennoch heißt das nicht, dass es keine Probleme gibt. Oder dass man diese Probleme am besten anderen überlässt und weiterhin im Halbschatten der selbstverschuldeten Unmündigkeit dahinvegetiert.

Wer unmündig ist, wer sich wie ein Unmündiger verhält, besser gesagt, kann und darf nicht ernstgenommen werden. Und was ist ein deutlicheres Anzeichen für Unmündigkeit als, dass man den Extremismus in den eigenen Reihen ignoriert? Und selbst dann noch ignorieren will, wenn er in unserem Land mordet?

„Ich will nicht, dass Moscheen geschlossen werden. Das ist ein falscher Weg“, sagt ein anderer Bekannter.
„Würdest du dein Kind in diese Moscheen schicken, um die es gerade geht?“
„Auf keinen Fall!“, sagt er ohne zu zögern.

Wie können wir Strukturen tolerieren, die unsere eigenen Kinder gefährden könnten?  Oder tolerieren wir sie eh nur, weil sie unsere eigenen Kinder noch nicht gefährdet haben? Auch der Attentäter war ein solches Kind. Ein gefährdetes Kind. Eines, das wir an den Extremismus verloren haben. Auch weil wir Strukturen und Narrative geduldet haben, die seit vielen, vielen Jahren das Gift in unsere Mitte, ja auch in unsere Familien und Freundeskreise getragen haben.

Und wir haben geschwiegen.
So wie wir heute schweigen.
Unser Schweigen ist das Gift.

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