Der Wiener Junge, der in den Jihad zog

„Er hat sich nicht einmal bei seiner Mutter verabschiedet, daher kam es für uns so überraschend“, sagt Fatih, der Cousin des Getöteten. Gökhan, der Wiener Junge, wird seinen Bekannten am Rande des Fußballtrainings des SKV XXX in guter Erinnerung bleiben, so viel steht fest. Sie sind gemeinsam aufgewachsen und seine Freunde vom Fußball kannten ihn noch bevor er sich im letzten Winter plötzlich der Religion zugewandt hatte. Davor war er ein lebensfroher junger Mann gewesen, der weder dem schönen Geschlecht abgeneigt war, noch dem Alkohol. Auch mit dem Gesetz soll er das eine oder andere Mal in Konflikt geraten sein, aber mehr will Fatih nicht verraten und wird vom Trainer zum Training gerufen. Während er zur Trainingsgruppe läuft, ruft ihm der Obmann des Vereins Mahmut XXX auf Kurdisch etwas zu.

Mahmut ist ein jovialer Anatolier mit stämmiger Statur. Auf die Frage hin, was er dem Cousin des in Syrien Gefallenen zugerufen hat, sagt er, er habe lediglich wissen wollen, ob er wirklich trainieren wolle. Nicht nur Fatih fällt es schwer, über Gökhan zu reden. Mahmut kennt den leiblichen Vater von Gökhan, er habe den Jungen praktisch aufwachsen sehen und im Sommer hatte er ihn sogar extra transferiert. „Seine Unterlagen liegen immer noch bei mir auf dem Tisch, er könnte sofort auflaufen, wenn er hier wäre, wenn er nicht nach Syrien gegangen wäre“, fährt Mahmut gedankenversunken fort. Angekettet hätte er den jungen Wiener, wenn er gewusst hätte, was Gökhan vorgehabt hatte. Doch dazu kam es nicht. Nach dem Sommerurlaub in der Türkei war der Wiener noch einmal nach Österreich zurückgekehrt, doch hat über seine Pläne nichts verraten. Fatih erinnert sich: „Er meinte, er würde für zwei Wochen in der Wiener Moschee, die er seit einem Jahr ständig besucht hat, bleiben.“ Doch tatsächlich war Gökhan mit anderen Wiener Jugendlichen nach Syrien, in den „Jihad“ aufgebrochen.

Gökhans Geschichte ist die Geschichte eines jungen Mannes, der den Anschluss nicht gefunden hat. Sein leiblicher Vater hat die Familie verlassen, als Gökhan noch klein war und war nach Dänemark ausgewandert. Dort hatte er eine neue Familie gegründet, die beiden Kinder, Gökhan und seine Schwester, in Wien bei der Mutter gelassen. Gökhan hat die Polytechnische Schule besucht, aber nicht abgeschlossen, einen Lehrabschluss hatte er auch nicht. Der Mitt-Zwanziger war arbeitslos, als er sich einer kleinen Wiener Moscheegemeinde angeschlossen hatte und der darauffolgende Wandel kam rasant. „Viele von uns haben dank ihm mit dem Beten angefangen, weil er uns plötzlich ständig dazu aufforderte, die Religion ernst zu nehmen“, erinnert sich ein alter Bekannter am Rande des Spielfelds, der nicht namentlich genannt werden will.

„Gökhan war ein guter Junge“ – sichtlich um Worte ringend – „ und auch wenn wir ihn verloren haben, diese Kinder, die jetzt am Feld stehen, werde ich nicht aufgeben“, sagt Mahmut trotzig. Viele diese Kinder, seien sie nun türkischer, kurdischer oder bosnischer Abstammung hätten es nicht einfach, kämen aus schwierigen Verhältnissen und deswegen stehe er Training für Training am Spielfeldrand. Fußballschuhe, Trainingsutensilien, Sponsoren, das seien Dinge, die man brauche, um diese Kinder von schlechten Angewohnheiten und der Straße fern zu halten. „Schöne Worte rund um Integration helfen uns nicht“, resümiert Mahmut, kurz bevor er seinem Trainer sagen muss, dass auch der letzte Medizinball kaputt gegangen sei.

Dies ist eine Kurz-Reportage, die ich im Zuge der Recherche für folgenden Artikel geschrieben habe.
Namen wurden unkenntlich gemacht bzw. lediglich die Vornamen belassen.

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