Nach dem ich am vergangenen Wochenende ein Gespräch mit dem Autor Eren Güvercin moderieren durfte, wollte ich die Gelegenheit nutzen ein altes Interview mit ihm online zu stellen:
Herr Güvercin, sie haben vor knapp einem Monat ihr Erstlingswerk veröffentlicht. Wie sehr würden sie sich daran stören, wenn man ihr Werk als „Migrantenliteratur“ verstehen würde?
Ich würde mich zunächst einmal fragen, ob derjenige, der es als „Migrantenliteratur“ versteht, es überhaupt gelesen hat. Der Untertitel meines Buches heißt ja nicht umsonst „Porträt einer deutschen Generation“. Hier geht es um junge deutsche Muslime, die sich bestimmter Begriffe verweigern. In der ganzen Debatte um die Muslime haben sich im Laufe der Jahre Begriffe wie „Migrationhintergrund“ etabliert, die die gesellschaftliche Realität dieser jungen Generation vollkommen ignoriert. Die jungen deutschen Muslime haben keinen „Migrationshintergrund“. Sie sind ein Teil dieses Landes und sehen ihre Heimat hier. Daher ist die Einordnung meines Buches als „Migrantenliteratur“ vollkommen verfehlt und zeugt von Ignoranz. Und es zeigt, wie irritiert diese Menschen immer noch sind, wenn jemand sagt: „Ich bin ein deutscher Muslim.“ Aber diese Irritation kann sehr heilsam sein.
Der Titel ihres Buches lautet „Neo-Moslems“ – was macht einen Neo-Moslem aus?
Wie sie ja auch schon sagen, es ist lediglich ein Buchtitel. Es ist keine neue ‚Gattung‘ des Muslims, auch wenn die Journalisten sich auf diesen Begriff stürzen. Mit „Neo-Moslems“ meine ich die jungen deutschen Muslime. Sie haben sich einerseits von bestimmten Strukturen der muslimischen Verbandslandschaft emanzipiert, ohne dabei auch diese Verbände zu verteufeln und Verbandsbashing zu betreiben, um sich dadurch zu profilieren. Es gibt ja einige „Berufsmuslime“, die sich in der medialen Inszenierung gut in Szene setzen, in dem sie die muslimischen Verbände als „konservativ“ und ewig gestrig abstempeln, um selber dann im besseren Licht dazustehen. Nein, die jungen Muslime engagieren sich auch teilweise in diesen Strukturen und sorgen dort für einen Wandel. Sie sind in der Lage Selbstkritik zu üben, also eine kritische Auseinandersetzung mit Muslimen. Aber auf der anderen Seite sind sie auch aktiv in der Mehrheitsgesellschaft und sorgen auch dort für Irritationen, in dem sie sich nicht nur mit den gängigen Integrations- und Islamdebatten beschäftigen, sondern auch mit Fragen, die gesellschaftsrelevant sind, sei es nun die Finanzkrise, Umweltthemen oder soziale Themen. Der „Neo-Moslem“ bringt also etwas Bewegung in die gängigen, öden Denkmuster. Oder wie es mein Freund Feridun Zaimoglu sagt: Sie bringen ein bisschen Fitness in die Modalitäten.
Nietzsche schrieb einst: „Es kennzeichnet die Deutschen, dass bei ihnen die Frage < was ist deutsch? > niemals ausstirbt.“ – sie beharren auf dieser Typisierung für die „Neo-Moslems“. Haben Sie da keine Angst vor einer „deutschtümelnden“ Vereinnahmung?
Nein, gar nicht. Vielleicht können die jungen deutschen Muslime ja einen wichtigen Beitrag leisten, dass die Deutschen endlich mal einen gelassenen Umgang mit ihrer deutschen Identität hinkriegen. Oft haben wir Deutschen ja einen gewissen Komplex mit unserer deutschen Identität. Das Deutschsein ist ja keine Zugehörigkeit zu einer „Rasse“. Da kann das muslimische Verständnis von Identität sehr hilfreich sein. Ich beziehe mich in meinem Buch dabei auf den europäischen Denker und Gelehrten Ibn al Arabi, der die Identität eines Menschen in erster Linie durch sein Sprachvermögen bestimmt. Das gemeinsame Sprachvermögen und nicht etwa die „rassische“ Zugehörigkeit oder Unterschiede hatten die islamische Vielvölkermodelle entscheidend geprägt, wie etwa in Andalusien, woher Ibn al Arabi stammt.
Sie schreiben von Ausgrenzungsmechanismen innerhalb der muslimischen Community, was meinen sie damit?
Damit meine ich etwa das verbreitete Phänomen, dass politisch-korrekte Muslime die Nähe zu Personen und Vereine in der Öffentlichkeit meiden, die etwa in den Verfassungsschutzberichten in Deutschland Erwähnung finden. Aber es ist ein offenes Geheimnis, dass die Verfassungsschutzberichte ein politisches Instrument sind, um ungemütliche Verbände aus der Debatte zu verbannen. Hier geht es nicht um extremistische Gruppen, wo man das verstehen und unterstützen würde. Sondern hier geht es um Verbände, die seit Jahrzehnten wertvolle Arbeit leisten. Und trotz aller Kritik, die man an ihnen haben kann und auch sollte, werden diese Organisationen aus politischen Gründen diffamiert, nicht weil sie wirklich ein Risiko darstellen. Die schon angesprochenen „Berufsmuslime“ machen sich dann diese Ausgrenzungsmechanismen eigen, weil sie sich natürlich mit der Politik nicht verscherzen wollen, um dann vielleicht als Ansprechpartner auserwählt zu werden und eventuell bei einer Pressekonferenz zwei Minuten vor der Kamera stehen zu dürfen neben Ministern und anderen Würdenträgern.
Auf der anderen Seite haben wir auch Kleinstvereine, die gerade mal 50 Mitglieder haben, sich mit dem Markenlabel „liberal“ schmücken, und die übrigen etablierten Verbände mit Hunderten von Moscheegemeinden, in den sie seit Jahrzehnten Basisarbeit leisten, pauschalisierend als „konservativ“ bezeichnen. Durch diese Dialektik und nicht durch Inhalte treiben sie natürlich diese Ausgrenzungsmechanismen immer weiter, so dass die Politik sich natürlich gemütlich zurücklehnen und dem Spektakel zusehen kann.
Sie kritisieren das Ideologische an konservativen, wie auch liberalen Ausrichtungen des Islam – ist der „Neo-Moslem“ post-ideologisch?
Die jungen Muslime stecken nicht fest in den ideologischen Grabenkämpfen der vergangenen Jahrzehnte. Sie wollen nicht mehr nur auf die Zuschreibungen von Außen reagieren, sie wollen agieren. Ideologien egal welcher Couleur haben kein Interesse daran, dass man die Menschen durch Aktion vereint, durch gemeinsames Handeln. Deswegen flüchten sie sich in ideologische Grabenkämpfe. Die Liberalen finden sich super toll und grenzen die Konservativen aus, und andersrum geschieht dasselbe. Die jungen Muslime pfeifen auf die ethnische Komponente, brechen die veralteten Verbandsstrukturen auf. Ideologische Labels können ihre Realität nicht widerspiegeln. Und das ist auch urislamisch. Ein Muslim ist grundsätzlich kein Ideologe, sondern ist angestachelt positiv etwas zu schaffen. Deswegen waren zivilgesellschaftliches Engagement in der islamischen Geschichte immer ein zentrales Element. Wenn wir uns etwa die Moscheen anschauen auf dem Balkan oder in Istanbul, dann waren das nicht nur Gebetsräume. Ganz im Gegenteil, die Gebetsraum hielt sich eher in Grenzen. Vielmehr waren drumherum Stiftungen angesiedelt, Krankenhäuser, Bibliotheken, Armenküchen. Die islamische Stiftungen hatten den Auftrag den Menschen zu dienen. Die Einordnung in „liberal“ oder „konservativ“ wird durch diesen Ansatz ad absurdum geführt. Diese ideologisch-politische Debatte über einen sogenannten „liberalen Islam“ ist eine aufgezwungen Debatte, der sich immer mehr Muslime verweigern. „Liberal“ oder „konservativ“? Das ist längst schon obsolet!
Sie sind selbst freier Publizist und beklagen die Abwesenheit muslimischer JournalistInnen – hatten sie ähnliche Probleme in ihrem Werdegang?
Nein, ich hatte keine großen Probleme. Als freier Journalist ist es immer nicht so einfach sich durchzuboxen. Diese Hürden müssen alle freischaffenden Journalisten überwinden. Aber was mir in den Debatten der letzten Jahre auffällt, dass immer wieder dieselben medialen Figuren die Debatte prägen. Es gibt eine große Vielfalt von Muslimen, die leider so in der Öffentlichkeit widergespiegelt wird. Und es fällt manchmal auf, dass gewisse Figuren aufgebauscht werden als Vertreter einer wie auch immer gearteten „schweigenden Mehrheit“. Es bleibt zu hoffen, dass sich das in den nächsten Jahren ändern wird. Denn da draußen gibt es viele junge, fitte und dynamische Muslime, deren Stimme man hören sollte und die auch eine Bereicherung für gesamtgesellschaftliche Debatten sein könnten, jenseits der ewigen Integrations- und Islamdebatte. Man sollte ihnen auch zuhören, wenn es mal zur Abwechslung nicht um Islam geht.
Sie schreiben in ihrem Buch, dass der Islam keine Kultur sei und mit Europa kompatibel. Kann man den Islam aus seinem kulturellen Entstehungsrahmen reißen?
Der Islam war nie an eine Kultur angedockt, noch hat er von den Gläubigen erwartet, einer bestimmten Kultur anzugehören. Deswegen sieht man in Asien, Afrika, aber auch in Europa Muslime, die sich völlig selbstverständlich an ihre kulturelle Umgebung angepasst haben und keineswegs Fremdkörper sind, wie die Debatte uns suggeriert. Auf Europa übertragen haben wir immer mehr junge europäische Muslime, die durchaus in der Lage sind zwischen der Essenz des Islam und dem importierten kulturellen Erbe ihrer Eltern zu unterscheiden. Dabei folgen sie jedoch auch nicht einer banalen Ablehnung jeglicher Tradition, die ihre Eltern ihnen zu vermitteln versuchen. Das interessante ist ja, dass in diesem Punkt Islamkritiker und Extremisten unter den Muslimen sich einig sind: nämlich dass Europa und der Islam nicht vereinbar sein. Für sehr viele Muslime sind Islam und Europa keine Widersprüche. Nicht in Anlehnung an den „Euro-Islam“ nach Bassam Tibi, sondern in Anlehnung an einen Islam wie er in Andalusien und auf dem Balkan europäische Realität war und ist. In Abgrenzung zum Konstrukt „Euro-Islam“ zeichnet diese Muslime aus, dass sie intellektuell und auch in der alltäglichen Praxis den vermeintlichen Widerspruch zwischen der islamischen und europäischen Tradition überwinden.
Sie vermissen eine offene Debattenkultur in der islamischen Community – wie wollen sie dies ändern?
Es ist in der Tat so, dass die Muslime in den vergangenen Jahren sehr viel Dialog mit den Kirchen und der Politik betrieben haben. Das ist auch wichtig und gut so. Nur ist es auffallend, dass es keine wirkliche Debattenkultur unter den Muslimen gibt. Man redet sehr viel übereinander, aber kaum miteinander. Daher ist es sehr wichtig, dass eine Debattenplattform etabliert wird, wo organisierte Muslime aus den Verbänden und auch nichtorganisierte Muslime jeglicher Richtung und Denkschulen zusammenkommen und miteinander ohne eine Hierarchie diskutieren und auch streiten. Ich schreibe in meinem Buch von meiner Idee einer „Alternativen Islamkonferenz“, die nach meinen Planungen dieses Jahr stattfinden soll. Feridun Zaimoglu, der bei der Deutschen Islamkonferenz der Bundesregierung teilgenommen hatte, ist ein Förderer dieser Idee. Die Alternative Islamkonferenz soll aber keine Konkurrenz zur DIK (Deutsche Islamkonferenz, Anm.) sein, sondern kann vielmehr für positive Impulse sorgen, die auch der DIK hilfreich sein kann. Es ist einfach an der Zeit zusammen zu kommen, die Vereinsmeierei einzustellen und gemeinsam einen positiven Beitrag zu leisten. Dies kann nicht durch politisch aufgeladene Debatten geschehen, sondern nur dadurch, in dem man eine muslimisch-zivilgesellschaftliche Strukturen aufbaut, wie etwa Stiftungen und soziale Projekte.
PS: Hier gehts zum Buch